Cyber
Toxo
Draußen regnet's, es ist irgendwann weit nach Mitternacht. In der Ferne
hört man Sirenen kreischen. Ich liege hier unten, auf einem alten Sofa,
und rauche irgendso ein billiges Gras. Der Putz hier ist schon vor
Jahren restlos abgebröckelt, die Stahltür hängt nur noch an einer Angel.
Rohre ziehen sich durch das ganze Kellergewölbe. Irgendwas tropft von
der Decke, ich weiß nicht was, aber ich werde mich hüten, je 'ne Kippe
in einer der schillernden Lachen zu werfen. Ich kämpfe mich von meinem
Sofa hoch und schnapp' mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank. Während
ich die Dose öffne und das kalte Bier mir in die Kehle rinnt, denk' ich
an irgendso 'ne bescheuerte Reklame, die bis vor kurzem ihr Neonlicht
immer in den gleichen Abständen in das kleine vergitterte Kellerfenster
warf. Irgendwas von so 'ner Reisegesellschaft, schöne Ferien! Irgendwann
hat jemand die Scheiß-Reklame eingeworfen, nun, ich kann nicht sagen,
dass mich das gestört hätte. Die Zeiten, da es sich noch gelohnt hätte
zu reisen, sind schon lange vorbei. Die ganze Scheiße hat schon lange
vor dem Jahrtausendwechsel angefangen, mein Dad hatte mir davon mal
erzählt. Die Regierung war auswechselbar, die Politik ein Sumpf aus
Korruption, Schwindel, Verbrechen. Die Menschheit hat sich ja schon seit
jeher belügen lassen, tja, Menschen sind halt dumm. Ich lächle und nehme
noch einen tiefen Zug. Dass es den meisten Menschen schlecht ging, haben
die, die es ändern könnten, nicht gemerkt. Sie lebten in ihrer eigenen
Welt aus Glamour, Scheinchen und Kaviar. Sie waren viel zu sehr damit
beschäftigt, ihr Image aufrechtzuerhalten, immer mehr schillernde Farbe
auf die Fassade. Sie mussten zu Wohltätigkeitsveranstaltungen, deren
einziger Zweck darin bestand, sie ins rechte Licht zu rücken und in die
Presse zu bringen. Doch davon bekamen die meisten Menschen nur was aus
den Medien mit. Das Fernsehen gaukelte den Menschen eine heile Welt vor.
Sie zeigten mit Soap-Operas und Trendsendungen, wie man sich zu kleiden,
zu bewegen und zu leben habe. Viele kamen mit dem Druck dieser
Markengesellschaft nicht klar, Dad lächelte zynisch, als er mir von der
Welle der Amokläufer erzählte, die so um 2000 hereinbrach. Auf der Suche
nach Markenklamotten, Make up und Trendfrisuren verliefen sich die
meisten, verzettelten sich und lebten nur noch, um anderen zu gefallen.
Die, die es sich leisten konnten, flüchteten in den Orbit und lebten
dort abgeschottet, einsam alleingelassen mit sich selber. Die meisten
hatten jeden Kontakt mit ihrem Heimatplaneten verloren und waren auch
nicht grade scharf drauf, ihn wiederzufinden.
Draußen kläfft schon seit einiger Zeit so ein bescheuerter Köter, armer Teufel, wenn er seine Schnauze nicht hält, landet er noch heute in im Kochtopf und irgendso ein schmieriger Penner bietet dir den Fraß als Delikatesse an. Aber so ist es halt, fressen oder gefressen werden. Das alte Prinzip, seit Jahrtausenden erprobt und bewährt, wer die Schnauze zuweit aufreißt, wird gefickt, kräftigst. Die ach so hoch gelobte Demokratie beschränkt sich auf die obere Elite, aber auch nur was Meinungsfreiheit angeht. So'n Muli-Boss kann sagen, was er will, er würde ja sowieso nix Schlechtes über das System verlauten lassen, da er viel zu sehr selber das System ist. Auf der Straße halten mit E-Schocker ausgerüstete Bullen die "öffentliche Meinung" schön in Schach, und doch sieht man den unterdrückten Freiheitsdrang an jeder Ecke. Graffiti, Hacker, die die riesigen Plasma-Werbebildschirme manipulieren, und Piratensender finden immer wieder einen Weg, um ihre Sicht der Scheiße um uns herum verlauten zu lassen.
Doch das alles wird von der gehobeneren Bevölkerung nicht gesehen, es wird ignoriert, ausgeblendet, totgeschwiegen wie die geheime Geburt eines Kretins im Königshaus. Keiner will ihn wahr haben, den Tumor in der gut funktionierenden Gesellschaft, warum auch? Es besteht ja die Gefahr, dass dein schön geordentes Leben aus den Fugen gerät.
Ich bin auch aufgewachsen in einer Welt voller Abschottung, Zimmermädchen, Tee-Parties. Ich habe gelebt von dem Geld meiner Eltern und den geklauten Empfindungen anderer. Doch dieses Leben endete abrut, noch bevor ich es ganz begreifen konnte. Mit neun wurde ich aus diesem goldenen Brutkasten gerissen. Das war vor knapp zwanzig Jahren. Die Erinnerung an die unbeschwerte Kindheit wurde von einem einzigen Gedanken verdrängt: Überleben. Wenn du im Dunkel der Städte überleben willst, musst du lernen, nicht aufzufallen. Verschmelze mit dem Schatten.
Der Joint ist schon lange aus, vorsichtig stapel' ich seinen Leichnam in das Gewirr eines übervollen Aschenbechers. Das Bier wird langsam warm, das macht aber nix, das billige Zeug schmeckt eh immer gleich. Richtiges Bier findet man selten in diesem Stadteil.
-Toxo