Die Ceder

Swetlana Schick



Ein König war so klein, daß ihn jedes zehnjährige Kind überragte. Deshalb war der König sehr böse und träumte davon, seine Untertanen, die ihn an Größe übertrafen, hinrichten zu lassen. Er hätte das unbedingt gemacht, wenn er keine Angst davor gehabt hätte, allein im ganzen Königreich zu bleiben.

Und dann befahl dieser König, um seinen Stolz zu belustigen, einen Zwergbaumgarten anzulegen. Er wußte, daß im weiten Norden Zwergbirken, Kiefern und Tannen wuchsen; aber er brauchte keine richtigen Zwergbäume. Der König befahl dem Gärtner, ein Treibhaus mit künstlicher Bewässerung und künstlichem Licht einzurichten. Dort pflanzte man Samen der hohen Bäume, um sie in Zwergbäume zu verwandeln. Dürftiges Begießen, Fehlen von Sonne, eine niedrige Decke waren die Methoden. Nur die kräftigsten Keime blieben am Leben und wurden zu Zwergbäumen.

Der König hatte fünf Töchter von einer kleinen Königin; die Mädchen liefen oft in das Treibhaus und gossen verkümmerte, gequälte Keime mit Limonade und düngten sie mit Törtchen nach.

Eines Tages fiel der König eines Nachbarreiches über das Königreich her. Feinde kamen und nahmen einige Bewohner gefangen, töteten andere und zerstörten die Gebäude. Das Königreich von König Knirps wurde leer. Das Treibhaus, in dem die Zwergbäume wuchsen, wurde auch zerstört.

Die schwächlichen Pflanzen wurden von der Sonne verbrannt, vom Regen durchnäßt, vom Wind zerbrochen, und sie alle gingen ein. Allein die Zeder blieb am Leben. Sie war die Lieblingspflanze der Prinzessinnen, und die Mädchen gossen sie mit Limonade und düngten sie reichlich mit Törtchen, aber sie verkümmerte nicht. Das war ein starker und zäher Keim.

Nachts träumte sie in der kühlen Finsternis, und morgens erwachte sie, wunderte sich und unterhielt sich mit der Sonne, dem Wind und dem Regen.

- Wer bist du? - fragte sie die Sonne, die mit dem Licht in alle Welt drang und jede Zelle der Zeder durchdrang und auf ihrer noch feinen Rinde brannte und sie von außen und von innen erwärmte und die Nadeln austrocknete, eine fast aufhörende Bewegung der Lebenssäfte. Wer bist du? Ich habe dich nie gekannt.

- Ich bin die Sonne, - antwortete die Sonne. - Ich gieße in dich Licht, Glut und Lebenskraft ein. Meine Freigebigkeit ist grenzenlos, ich kenne keine Schwelle. Du bist mein Teilchen.

- Ja, aber du quälst mich, du bereitest mir Schmerzen.

- Schade, aber ich kann nicht anders. Ich bin die Sonne. Vielleicht gehst du ein; aber du bist eine hinlänglich starke Pflanze, du bleibst am Leben und wirst zu einem kräftigen Baum.

Eines Morgens war der Himmel grau und mürbe, und von oben sickerte und sickerte das kalte Wasser.

- Wer bist du? - fragte die Zeder den Regen. - Du überflutest alles überall, und dann wird es für mich schwer zu atmen; du durchdringst jede meine Zelle. Meine Nadeln wichen durch, und meine Krone neigte sich fast zu Erde. Wer bist du? Und wozu? Ich habe dich nie gekannt.

- Ich bin der Regen, - antwortete das Wasser lachend und plätschernd. - Ich gebe dir und aller Erde ringsherum zu trinken; ich schenke dir Lebenskraft.

- Aber du kannst mich verderben.

- Ich möchte dich nicht verderben, - antwortete das Wasser. - Aber ich fließe überall und durchdringe alles; so ist mein Wesen. Du bist eine starke Pflanze, du bleibst heil und ganz und wirst zu einem riesigen, kräftigen Baum.

Eines Morgens kam der Wind. Er trieb am Himmel Wolken, deckte mal die Sonne auf und wieder zu, bog einen Stamm von der Zeder fast zu Erde, drohte ihn zu zerbrechen und zauste schrecklich die Krone.

- Wer bist du? - flüsterte erstickend die Zeder. - Ich habe dich nie gekannt.

- Ich bin der Wind, - pfiff der Wind zur Antwort. - Ich will dich nicht verderben. Wenn du stark bist, hältst du durch und wirst zu einem riesigen, kräftigen Baum.

Da wuchs die Zeder sehr schnell unter freiem Himmel und wurde zu einem kolossalen, kräftigen Baum. Vogelschwärme bedeckten ihre Zweige und ernährten sich von ihren Nüssen.

Aber manchmal war die Zeder wach, und es gab ringsherum keinen Sonnenschein, kein Wasserplätschern, kein Pfeifen des Winds. Vom Himmel fielen und fielen weißen Flocken, wie Gänsedaunen.

- Ich sterbe, - dachte der Baum, vor grimmiger Kälte erstarrt.

- Nein, du stirbst nicht, - fingen die Meisen, seine Gedanken belauschend, zu zwitschern an. - Ob Kälte oder Hitze, ob Dürre oder Regen, du gehst nicht ein. Du bist ein kolossaler, kräftiger Baum. Deine Krone berührt fast die Wolken, und deine Wurzeln trinken aus unterirdischen Quellen.


Swetlana Schick