De profundis
Harald R. Sattler
Ich habe Dich, oh Mensch
Und dein Kälbchen, das du Kind nennst
Genährt mit meiner Milch
Große Mengen Butter, fetten Rahm und süßer Milch
Hast du von mir bekommen
Ich hab dir alles gern gegeben
Geb dir zuletzt sogar mein Leben
Von Kalbesbeinen an hab ich dir gedient
In mannigfacher Weise
Wohl wissend, daß viele meiner Kälbchen
Ins Schlachthaus
Zu allzu frühem Tod getrieben wurden
Reichen Gewinn hast du gezogen
Aus mir und den Meinen
Profit erzielt für dich und die Deinen
Haben wir da nicht zumindest
Einen humanen Tod verdient?
Wie kannst du, oh Mensch
Noch ruhig schlafen und vom Fleisch der Meinen essen?
Jetzt, da du weißt, was ihnen angetan
Auf qualvoll langen Reisen
In einen grausen Tod
Von Durst gequält und hungrig
Mit gequetschten Gliedern und gebrochnen Auges
Wanken viele von uns ihren Schergen entgegen
Ich habe dich, oh Mensch
Genährt mit meiner Milch und meinem Fleische
Gewähre mir, so bitt ich dich
Ein Ende, von dem man sagen kann
Es sei menschlich.
Harald R. Sattler
Der Titel "de profundis" geht zurück auf den Psalm 129,1 der Vulgata De profundis clamavi ad te, Domine Martin Luther textete danach sein Lied: "Aus tiefer Not schrei ich zu Dir"
(Mit freundlicher Genehmigung aus "IGT informiert" 2/98)