DOSZeit-Extra 3: Betriebssystem OS/2
Jabberwocky
Vorbemerkung Thema dieser dritten Extra-Ausgabe ist ein großartiges Betriebssystem - begonnen hat alles mit einer Ankündigung aus den renommierten Häusern IBM und Microsoft. Viel Spaß beim Lesen!
Nachfolger gesucht Vor rund zwölf Jahren kündigten die damaligen Blutsbrüder IBM und Microsoft die baldige Verfügbarkeit eines Nachfolgers für DOS an. Wie auch heute noch, vergeht von der Ankündigung bis zur Verfügbarkeit eines Produktes in der Regel noch durchschnittlich ein halbes Jahr [wenn man die sattsam bekannten taktischen Ankündigungen Microsofts außer acht läßt]. OS/2 1.0 - oder offiziell eingedeutscht "BS/2" - erschien demzufolge auch erst am 8. Dezember 1987. Zwölf Jahre OS/2 sind Grund genug, wieder einmal einen Blick zurück zu werfen. Wie war das damals mit der Version 1.0, und was kam danach?
Die graue Vorzeit Es war einmal DOS. Unter DOS liefen alle Applikationen, die der Benutzer wollte - mehrheitlich war dies etwa die Tabellen- kalkulation Lotus 1-2-3. Es gab überhaupt kein Verlangen, mehr als eine Anwendung zur gleichen Zeit laufen zu lassen. Wollte man beispielsweise neben einer Kalkulation noch einen Brief schreiben, wandte man sich eben an die Schreibmaschine. Doch die Computer wurden leistungsfähiger, populärer und immer häufiger zu allen möglichen Dingen eingesetzt. Da kam die Idee, daß Anwender vielleicht mehr als nur ein Programm gleichzeitig ausführen wollten. So begab es sich, daß zwei der Computer-Giganten anfingen, DOS neu zu schreiben, damit es Multitaskingfähig würde und die Limitationen des DOS-Designs (hauptsächlich die 640-KB-Speichergrenze) hinter sich ließe. Und so entstand OS/2. Hintergrund dieses Märchens ist, wie angedeutet, die Entwicklung des Intel-Prozessors für den PC. Hardwareunabhängigkeit war nämlich schon immer ein relativer Begriff. Das "Control Program for Microprocessors" (CP/M) von Digital Research war das Betriebssystem der sogenannten Mikrorechner. Nachdem der diesem System zugrundeliegende 8-Bit-Prozessor 8080 von Intel (oder der Z80 von Zilog) ausgemustert und durch den 16-bitigen 8086/8088-Prozessor ersetzt war, dauert es nicht lange, bis ein entsprechender kompatibler CP/M-Clone herauskam: MS-DOS. Als DOS 1.0 im August 1981 erschien, war es nur für den IBM-PC bestimmt. Aber auch die folgenden Versionen orientierten sich alle an dem alten CP/M-Standard. Diese Kontinuität war sicher kostengünstig und benutzerfreundlich, ersparte auch Microsoft Innovationen, aber es brachte auch Beschränkungen mit sich - einen Preis, den man für die Abwärts-Kompatibilität zu zahlen hatte. Beflügelt durch den Erfolg des Original-IBM-PCs und die weite Verbreitung von "IBM-kompatiblen-" Rechnern hält sich DOS bis heute erfolgreich am Markt. Im Prinzip ist DOS auch in der aktuellen Version 7.10 (IBM PC-DOS oder MS-Windows 98) noch ein Betriebssystem für 16-Bit-Rechner, die auf den Prozessoren 8086/ 8088 beruhen - daran hat sich trotz aller Kosmetik und Werbung nichts geändert.
DOS 3.0? Als man in den Labors von Microsoft und IBM zu realisieren begann, daß das damalige DOS (Version 2.x) nicht in der Lage sein würde, die Vorteile des neuen Intel-Prozessors 80286 zu nutzen, schlug die Geburtsstunde von OS/2. Der 80286 wurde in den neuen IBM PC AT (Advanced Technology) eingebaut und dieser Prozessor hatte die damals ungeheuerliche Fähigkeit, Speicher jenseits von einem Megabyte zu adressieren. OS/2 wurde als Projekt begonnen, als neues Release von DOS - man glaubte als Version 3.0 - um die magische Grenze von 1 MB auf einem 80286 zu durchstoßen. Die Hauptproblem lag damals in dem Umstand, daß der erweiterte Speicherbereich nur dann verfügbar war, wenn der Prozessor sich in besonderen Umständen befand. War der Prozessor jedoch einmal in diesem "Protected Mode", gab es kein Zurück mehr zum DOS-kompatiblen "Real Mode" außer über ein Reset des Rechners. Ein Betriebsystem, welches die neuen Fähigkeiten des 80286 unterstützen und gleichzeitig Kompatibilität zu DOS wahren sollte, schien unmöglich. Eine weitere Schwierigkeit entstand damals durch eine kleine Hardware-Schmiede namens Compaq. Bis OS/2 1.0 auf dem Markt erschien, fuhr Intel im Business as usual fort und entwickelte den Prozessor 80386. Dieser konnte zwischen Protected Mode und Real Mode hin- und herschalten, und darüber hinaus noch einen weitaus größeren Speicherraum adressieren. IBMs PS/2-Produktlinie war zu diesem Zeitpunkt aber noch 80286- und 8086-basiert. Man glaubte einfach nicht, daß dem teuren 80386 in absehbarer Zeit ein Erfolg beschieden sein könnte. Dies widerlegte Compaq durch bezahlbare 386er-Rechner und Microsoft hatte die Querelen um die nächste Generation eines Betriebssystems erst einmal satt. In der Folge wurde MS-Windows den wartenden DOS-Anwendern schmackhaft gemacht. OS/2 wird in der Version 1.0 von IBM und Microsoft schließlich drei Jahre nach der Grundsteinlegung, 1987, endlich vorgestellt. Unter dem geschilderten Druck - zu dem auch noch der Erfolg von Apples Macintosh-Computern kam - lieferte man die erste Version noch ohne grafische Oberfläche aus. Diese wurde jedoch postwendend angekündigt und mit der Version 1.1 ein Jahr später auch ausgeliefert. Bereits die Leistungsfähigkeit der Version 1.0 war beeindruckend - die hohen Speicheranforderungen mit einem Minimum von 2 MB RAM erschienen den Interessenten jedoch bereits als bedenklich, befand man sich doch gerade in einer Phase der Speicherknappheit. In den USA herrschte aufgrund von staatlichen Handels- beschränkungen ein erheblicher Mangel an Speichermodulen, was sich in entsprechend hohen Preisen äußerte. Da kam ein Betriebssystem, das ausdrücklich sehr viel mehr Speicher als üblich verlangte, ziemlich ungelegen.
Bis zur Version 1.3 gab es außerdem eine enge Bindung von PS/2-Hardware und dem Betriebssystem OS/2. Die Version 1.0 lief gerade einmal auf einer auserlesenen Handvoll von IBM-Rechnern: PC AT 068, 099, 239, 319 und 339, XT 286 sowie PS/2 50, 60 und 80. Die Fähigkeiten des 80386 wurde in keinster Weise unterstützt (der PS/2 80 wurde dementsprechend zum 80286 degradiert). Als zeichenorientiertes Programm (mit Task-Switcher) konnte die erste OS/2-Version auch nicht mit dem Mac- Standard mithalten. Ein weiteres Manko war die Beschränkung auf eine einzige DOS-Kompatibilitätsbox, welche das parallele Arbeiten mit mehreren Anwendungen erheblich einschränkte. Die Geburt von OS/2 war somit zugleich der Anlaß für Kritiker, dessen Tod zu beschwören - eine Tradition, die sich hartnäckig bis heute (Version "Warp 4" ist aktuell, Version 5 "Aurora" angekündigt) hält. IBM und Microsoft mußten handeln, um die "True Blue"-Kunden - und um die ging es zunächst - nicht zu sehr zu verärgern. Die Version 1.1 erhielt die versprochene grafische Benutzeroberfläche, den "Presentation Manager" (PM). Die folgende Version 1.2 wurde darüber hinaus noch durch zahlreiche technologische Leckerbissen erweitert und erlaubte endlich die produktive Nutzung des Systems durch eine verbesserte Oberfläche. Mit der Version 1.3 wurde 1989 schließlich eine nochmalige Performance-Steigerung und Verbesserung der Stabilität erreicht, außerdem kamen einige neue Features hinzu, wie etwa die ATM-Integration in den PM. Alles zu spät? Microsoft war neben der OS/2-Entwicklung nicht untätig gewesen. Windows 1.0 war lediglich eine grafische Oberfläche für DOS, die im Real Mode des 8086/8088 betrieben wurde. Die zweite Version versuchte sich wenig erfolgreich an der Expanded Memory Specification (EMS), um die DOS- Speicherprobleme zu umgehen. Die Windows-Version 3.0 konnte bereits den Virtual/Extended Mode des 80386 nutzen. Bei den gleichen Systemanforderungen wie OS/2 1.3 aber einer vorhandenen Unterstützung für 386er-Systeme, wurde 1990 Windows der Erfolg beschieden. Im ersten Monat verkaufte Microsoft mehr Windows-3.0-Lizenzen, als bis dato OS/2-Lizenzen insgesamt verkauft wurden. Im Erfolgsrausch kündigte Microsoft die Verträge mit IBM und OS/2. Stand auf der Schachtel der ersten Windows-Version noch in aller Deutlichkeit geschrieben "Presentation Manager for DOS", so schwenkte die Gates-Company nun um zu hochtrabenden Plänen mit "Windows NT" - ursprünglich als OS/2 3.0 geplant!
"Wer's drin hat, hat mehr drauf" IBM sah sich im Stich gelassen und war gezwungen, OS/2 2.0 allein zu entwickeln. Ein besseres DOS als DOS sollte es integrieren und Windows-Programme sollten sicherer laufen als unter dem Original-Windows. Das IBM-Marketing verstärkte seine Bemühungen um eine sichere Markt-Positionierung der neuen Version von OS/2 - strenggenommen eigentlich zum ersten Mal. Benutzerfreundlicher und preiswerter denn je gab sich die Version 2.0 und den sonstigen PC-Betriebssystemen technologisch haushoch überlegen. Als stabiles 32-Bit-Betriebssystem konnte es eine Zeitlang nahezu jedes beliebige Programm, das für die Intel-Plattform geschrieben worden war, ausführen. Mit der Version 2.1 verbesserte die IBM OS/2 nochmals wesentlich um ein 32-Bit-Grafik-Subsystem und den Windows-3.1-Support. Mittlerweile erschien der Rivale Windows NT verspätet und konnte sich dank außergewöhnlicher Systemanforderungen bestenfalls als Server-Plattform etablieren. Bis 1994 wurden über fünf Millionen OS/2-Lizenzen verkauft. Damit war es zwar das erfolgreichste 32-Bit-System weltweit, kam jedoch bei weitem nicht an die Verkaufszahlen von Windows heran. Mit Warp 3 wurde auch ein Support für Win32s-Applikationen nachgereicht, eine erneut verbesserte Oberfläche präsentiert, die Version wartete mit umfangreicher Treiberunterstützung auf und besaß schließlich mit dem Bonus Pack eine komplette Anwendungssammlung für den Hausgebrauch. Vielleicht war es auch der Internet-Zugang mittels Internet Access Kit (IAK) - einem lange Zeit äußerst brisanten Thema - welcher die Zahl der Benutzerlizenzen rasch verdoppelte. Der gemeine Windows-User - mittlerweile Erzfeind Nummer eins vieler OS/2-Evangelisten - konnte sich erst Ende 1995 über den Nachfolger von Windows 3.11 freuen. Mit bösem Erwachen, denn Windows 95 basierte - entgegen der vollmundigen Ankündigungen Microsofts - immer noch auf dem DOS-Speichermodell, übernahm das FAT-Dateisystem im wesentlichen unverändert und blieb auch sonst in vielen Bereichen noch 16-bitig. Auch Windows NT 3.5x blieb zunächst wenig Erfolg beschieden: Mit Gegnern wie Novell und IBM war nicht gut Kirschen essen. Zumindest in Deutschland machte die IBM auch einen völlig ungewohnten Wirbel um die Version 3.0 von OS/2: Die skurrilen "Talking Heads", voluminöse Körper mit winzigen Köpfen, wurden vorübergehend sogar in der TV-Werbung zu einem vertrauten Bild. OEM-Hersteller wie Escom und später auch Vobis belohnten das neue Engagement der IBM für den Endanwendermarkt damit, daß Warp 3.0 auf vielen Rechnern vorinstalliert wurde und eine bislang ungeahnte Popularität gewinnen konnte. Auch für den auf Warp 3 basierten Lan Server (Warp Server) machte IBM eine bemerkenswerte Werbe-Kampagne. OS/2-Fans konnten sich jedoch nicht allzu lange im PC-Mainstream wähnen. Schon nach wenigen Monaten verlor Big Blue die Lust daran, Microsoft ernsthaft Paroli zu bieten.
SOS, IBM antwortet nicht mehr Während die Fortentwicklung von OS/2 2.11 zu Warp 3 noch großen Wirbel auslöste, ging es beim Release von Warp 4 eher still zu. Fast schien es, als ob die Gewaltigen bei IBM sich wieder auf den alten Standpunkt zurückgezogen hätten: Wir haben ein neues Release - pssst, nicht weitersagen! Ein anspruchsvolles stabiles Betriebssystem, vollgepackt mit einem Bündel an technologischen Innovationen wie Voice Type, OpenDoc, Java und der verbesserten Netzwerkintegration hätte es durchaus verdient, einen größeren Marktanteil zu erlangen. IBM überließ jedoch wie immer souverän das Marketing seinen Konkurrenten und vermied die Bewerbung der eigenen Produkte - schließlich ist doch allgemein bekannt, daß OS/2 das beste aller Betriebssysteme ist, nicht wahr? Und als Gipfel des Ganzen pries Big Blue gönnerhaft die Produkte seiner Mitbewerber als Ergänzung der eigenen Hardware an. IBM verkauft die eigenen Personal Computer tatsächlich mit Windows als Betriebssystem und produziert fleißig Software-Applikationen für Windows NT. Durch dieses beispielhafte Anti-Marketing, ließ sich die Verbreitung von OS/2 freilich nicht steigern. Über Mangel an Anregungen, Kritik und Verbesserungsvorschlägen kann sich IBM aber wahrlich nicht beklagen - handeln täte not.
Immer auf die Kleinen Um schließlich auch noch der Entwicklergemeinde gerecht zu werden: Immer wieder wurde die Verfügbarkeit von sogenannten Killer-Applikationen oftmals als alleiniges Bewertungskriterium für OS/2 herangezogen. Wordperfect, Novell, Lotus oder Borland haben vielleicht eine wichtige Rolle zur Verbreitung von OS/2 gespielt, zumindest die Star Division und Lotus waren darum bemüht. Entscheidend für den Erfolg von OS/2 vor allem bei Banken und Versicherungen waren die Lösungen dieser Hersteller jedoch meist nicht. Kleinere Softwarehäuser (Independent Software Vendors, ISVs) bewiesen jenseits des Deckmantels der IBM mit ihren Lösungen oftmals eine erstaunliche Innovationsfreude. Die vermeintlich kleinen ISVs entwickeln aber nicht nur für OS/2, sondern sie reizen mit ihren Produkten die vorhanden Möglichkeiten von OS/2 meist bis an die Grenzen aus. OS/2 1.0 war ein zeilenorientiertes Betriebssystem. Der damalige Newcomer Describe entwickelte die erste PM-Applikation für OS/2. Wordperfect benötigte weitere fünf Jahre, um einen halbherzigen Mirrors-Port auf den Markt zu werfen. DCF/2 von Proportional Software oder Deskman/2 von Devtech hatten nicht deshalb Erfolg, weil sie zehn Millionen Zeilen Sourcecode und 30 Mannjahre Entwicklungsarbeit in ihre Produkte steckten, sondern weil ein paar findige Programmierer die Fähigkeiten und Möglichkeiten von OS/2 nutzten. Deskman/2 lotete die Tiefen von SOM aus und DCF/2 machte sich insbesondere undokumentierte Features von HPFS (High Performance File System) zunutze - also gibt es auch am Wegesrand noch Schätze zu heben. Clearlook von Sundial Systems und andere vergleichbare Applikationen beweisen, daß auch objektorientierte Lösungen äußerst schnelle, stabile und dennoch komplexe Anwendungen bieten können. Das soll aber nicht heißen, daß die Großen der Software-Branche nichts zu bieten hätten. Ob aber die WPS-Objekte von Lotus cc:Mail! schon das Ende der Fahnenstange sind, muß letztlich abgewartet werden.
Warp 5 - Code-Name "Gandalf" wird es wohl nicht mehr geben. Die neueste Version soll auf den Namen "Aurora" hören und ist eigentlich nicht für den Consumer-Markt, sondern für große Unternehmen gedacht, wie beispielsweise Versicherungsgesellschaften und Geldinstitute, wo OS/2 als stabiles und sicheres Betriebssystem mit komfortabler und logischer GUI noch nicht zu ersetzen ist. OS/2 ist gerade in diesen Branchen sehr verbreitet, also beileibe nicht tot. Ob es aber jemals eine offizielle Rückkehr in den SOHO-Bereich geben wird scheint eher unwahrscheinlich. Wer noch 1997 den IBM-Auguren Glauben schenkte, erwartete für 1998 wesentliche Erweiterung hinsichtlich der Java-Fähigkeiten und -Funktionalitäten von OS/2, sowie eine zentrale Verwaltung von Sicherheits- und Systemdiensten. Das Orakel (Donn Atkins, Vizepräsident Marketing IBM PSP) versprach 1997 außerdem in einer weiteren Phase Verbesserungen in der TCP/IP-Umgebung, Browser-basierte Administration, einen Firewall/Proxy-Server, Network-Computing-Protokolle sowie die Einbindung in eine neue Umgebung im Datenbank- und Transaktionsbereich. Neu bei OS/2 ist allerdings der 'OS/2 Warp Server for e-business', 'WorkSpace On-Demand' (ein Terminal für verschiedene Plattformen), die 'DB2 Universal'-Datenbank und natürlich das Office-Paket 'StarOffice 5'. IBM freilich unterstützt inzwischen außer Windows und der eigenen Unix-Version auch Linux - und schweigt sich zu OS/2 aus. Doch OS/2 hat Freunde und wird weiterentwickelt: Der OS/2 X-Server etwa macht Linux-Programme nutzbar, so laufen unter OS/2 beispielsweise Gnome und auch Gimp. Jabberwocky |